Unsere Mobilität verändert sich ständig. Neue Anforderungen, neue Lebensumstände und neue Wünsche der Menschen bedürfen auch eine weiterentwicklung der Mobilität. Der Mobilitätsforscher Alexander Rammert referierte beim 10. Flottentag darüber, wie mehr Mobilität bei weniger Verkehr in Zukunft möglich gemacht werden könnte.
Neue und innovative Ansätze für die menschliche Mobilität
Was verstehen Sie unter dem Begriff „Mobilitäts-Innovation“? Eine Entwicklung, die in diesem Jahr in der Mobilitätsbranche viel diskutiert wurde, sind die sogenannten Teslas im Tunnel, die Elon Musk mit seinem Unternehmen The Boring Company entwickelt hat. Das Konzept „Teslas in Tunnels“ wurde in Las Vegas als innovatives Highlight vorgestellt. Der Loop, in dem die Teslas fahren, ist komplett elektrisch, hat keinerlei Emissionen und ist eine hochgeschwindigkeits Transportlösung für den öffentlichen Verkehr.
Als promovierter Verkehrsingenieur suche ich bei neuen Entwicklungen immer nach Optimierungsbedarf. Kann zum Beispiel bei der Innovation „Teslas in Tunnels“ noch etwas weiterentwickelt oder gar verbessert werden, damit sie den Ansprüchen an die menschliche Mobilität noch eher gerecht werden?
Gedankliche Weiterentwicklung der „Teslas in Tunnels“
» SCHRITT 1
Könnten wir die Teslas im Tunnel auf Schlitten, anstatt auf der Straße fahren lassen, so gäbe es keine Rollwiderstände und es wäre einfacher, die Fahrzeuge unterirdisch ohne Unfälle zu bewegen.
» SCHRITT 2
Anstatt der Tunneloberfläche könnte ein Leitsystem aus hochverdichtetem Stahl genutzt werden, um die Reibung zu reduzieren und so die Geschwindigkeit bei gleichem Energieeinsatz zu erhöhen.
» SCHRITT 3
Die Reibung kann noch weiter reduziert werden, in dem Stahlreifen genutzt werden. Die Rollwiderstände werden so minimiert und die Geschwindigkeit und Beschleunigung können erhöht werden. Das führt zu hohen Reichweiten mit sehr wenig Energieaufwand.
» SCHRITT 4
Teslas über Autofahrstühle von der Straße in die Tunnels gebracht werden. Innovative Möglichkeiten, um das effektiver zu gestalten ohne Stau und wartezeiten? Die Teslas könnten zum Beispiel im Tunnel bleiben. So würden nur die Menschen in die Teslas zusteigen.
Wenig Energie unterirdisch befördert mit Rolltreppe, Tunnel flexibler ans Startsystem angepasst werden
» SCHRITT 5
Teslas im Tunnel stehen häufig hintereinander und es bildet sich Stau. Wenn die Teslas nicht einzeln fahren, sondern sich zusammenschließen würden, wäre die Staugefahr minimiert. Es wird nur noch ein Antrieb, eine Energiezelle benötigt.
» SCHRITT 6
Kombinieren der einzelnen Kapseln, damit sich die Menschen auch innerhalb der Kapseln bewegen können.
» die U-Bahn ist die wirkliche Mobilitätsinnovation
Nicht alles, was auf den ersten Blick eine technische Neuerung ist, ist auch eine Mobilitäts-Innovation. Im Gegensatz dazu war zum Beispiel die U-Bahn vor über 100 Jahren eine Mobilitäts-Innovation, die uns heute noch täglich den Alltag erleichtert. Die U-Bahn hat es überhaupt erst ermöglicht, dass wir heute in Großstädten überhaupt zusammenleben können, dass der Verkehr nicht zusammenbricht, dass dort Menschen überhaupt so dicht beieinander siedeln können.
Verkehrsinnovationen sind nicht gleich Mobilitätsinnovationen
Eine Mobilitätsinnovation erlaubt uns, in unserem Alltag anders mobil zu sein und ihn anders zu organisieren. Mobilität ist die Möglichkeit, eine Entscheidung treffen zu können, wie wir von A nach B kommen. Die Auswahl verschiedener Verkehrswege ist der Grundsatz der menschlichen Mobilität. Konzentrieren wir uns auf das, was letztendlich unsere Entscheidung zu einem Verkehrsweg ausmacht, so können wir wahre Mobilitätsinnovationen – und nicht etwa technische Innovationen – herauskristallisieren.
Mobilität verstehen
Mobilität ist der subjektive Möglichkeitsraum, wieso wir uns von A nach B bewegen. Wieso entscheiden wir uns beispielsweise morgens dafür, mit dem Auto zur Arbeit zu fahren? Wieso benutzen wir manchmal das Fahrrad, an anderen Tagen eher die U-Bahn? Wieso bewegen sich
Menschen auf bestimmte Weise von A nach B? Alle Überlegungen, die dazu in unseren Köpfen
ablaufen, ist unsere Mobilität.
Eine hohe Mobilität ist also eine hohe Optionenvielfalt. Mobilität hat erstmal nichts mit Verkehr zu tun: Menschen können hochmobil sein, ohne das Haus verlassen zu haben.
Mobilität und die Entscheidung der Mobilitätswege muss übrigens nicht immer rational passieren: Wir haben sehr viele Routinen, die uns auch zu irrationalen Entscheidungen drängen. Die Mobilität führt dann wiederum zu unserem Mobilitätsverhalten, was die Ursache ist für den Verkehr.
Drei Dimensionen, die die Mobilität beeinflusst
» DIE ERREICHBARKEIT
Alles strukturelle, was uns umgibt. Die Raumstrukturen, die uns umgeben und das Verkehrsangebot, das es in unserer Umgebung gibt, nehmen Einfluss darauf, wie wir mobil sein können. Mögliche Ansätze für Mobilitätsinnovationen im Bereich Erreichbarkeit lenken den Blick auf dieRaumstruktur. So könnte eine Innovation darin bestehen, die Ziele zu den Quellen zu bringen, zum Beispiel den Supermarkt zum Menschen. Zu prüfen ist dann, ob damit der Verkehr vermieden, gleichzeitig aber die Mobilität erhöht werden kann. Am Beispiel des Supermarkts auf Rädern, der in kleinere Dörfer kommt, ist diese Lösung gerade für Menschen ohne Führerschein oder eigenes Auto ein großer Zuwachs der Mobilität. Auf unternehmerischer Seite sind die Arbeitsplatzstandorte oder die Arbeitszeiten eine Mobilitätsinnovation. Hier können Unternehmen einen großen Einfluss darauf nehmen, was die Mobilität der Arbeitnehmer ausmacht. In diesen Fällen steigt die Mobilität trotz oder sogar durch verringertem Verkehr.
» INDIVIDUELLE FÄHIGKEITEN UND RESSOURCEN
Was bringen wir selbst mit, welche Fährigkeiten und Ressourcen haben wir zur Verfügung? Hier
spielen neben erworbenen Fährigkeiten auch gesundheitliche und finanzielle Ressourcen eine
Rolle. Eine Innovation ist zum Beispiel die Einführung eines bundesweiten günstigen Tickets für den
Regionalverkehr, wie zuletzt das 9€-Ticket. So kann den Menschen mehr Mobilität gegeben werden.
» WAHRNEHMUNG
Wie nehmen wir unser Umfeld, unsere eigene Physis und unsere eigenen Ressourcen wahr? Hier spielt auch Ästhetik eine große Rolle: das Aufwerten von Angsträumen, die attraktivere Gestaltung
von Wegen oder auch das Angebot von Mobilitätsschulungen. Im Unternehmen können mit betrieblichem Mobilitätsmanagement und einer individuellen Mobilitätsberatung prüfen, was genau die Mobilität der Mitarbeitenden beeinflusst, um neue und innovative Lösungen zu finden.
BETRIEBLICHES MOBILITÄTSMANAGEMENT
Darunter versteht man die Anerkennung der betrieblichen Verantwortung für die Mobilität der Mitarbeitenden und für den Verkehr, den diese erzeugen. Es liegt an Unternehmen, eine Expertise auszubilden und ein Mobilitätsziel festzulegen. Dieses definiert, was die betriebliche Mobilität als Beitrag zu unserem gesellschaftlichen Zusammenleben, aber auch für die Mitarbeitenden vor Ort leisten soll. Durch das betriebliche Mobilitätsmanagement ist auf den ersten Blick kein wirtschaftlicher Mehrwert in Sicht, da es sich um Aufwand und Kosten handelt, die ein Unternehmen aufbringt. Die Zufriedenstellung der Mitarbeitenden wird aber vor allem in Zeiten des Fachkräftemangels immer relevanter. Für die Arbeitnehmer wird die Zeit, die sie zur Verfügung haben immer wichtiger und mehr gewertschätzt. So ist ein Unternehmen dann am attraktivsten für Mitarbeitende, das viele Alternativen und Optionen für die eigene Mobilität anbietet.
FAZIT:
Durch folgende Leitsätze können wir die menschliche Mobilität voranbringen, ohne mehr Verkehr zu verursachen.
- Die Konzentration sollte auf der Innovation liegen, um eine Stagnation vermeiden zu können.
- Das Denken in neuen Feldern ist dafür erforderlich.
- Auch sollte immer zuerst der Mensch und dann die Technik betrachtet werden. Die Technik ist in der Mobilität eher als Instrument zu beschreiben, das dazu da ist, die Bedürfnisse und Bedarfe des Menschen mit Hilfsmitteln zu erfüllen.
- Ein proaktives Vorgehen ist wichtig, um unseren Betrieb oder die Gesellschaft voran zu bringen und nicht nur auf veränderte externe Rahmenbedingungen zu reagieren.
Dieser Artikel wurde erstmalig im FLEETMAG #3 veröffentlicht. Das Fleetmag ist ein jährlich erscheinendes Magazin für die betriebliche Mobilität. Wenn Sie bei der nächsten Ausgabe auch mit einem Fachbeitrag, einem Advertorial oder einer Anzeige mit dabei sein möchten, dann kontaktieren Sie uns: