Interview mit Christian Mathieu (Abteilungsleiter Stadtplanung der Stadt Schwäbisch Hall) über die Entstehung eines kommunalen Mobilitätskonzept.
Herr Mathieu, welche Herausforderungen haben speziell Kommunen im Bereich der Mobilität?
Im Bereich Mobilität haben Kommunen einen wesentlichen Anteil das Verhalten der Bürgerinnen und Bürger zu Beeinflussen und den Verkehrssektor nachhaltiger und zukunftsorientiert zu gestalten. Besonders deutlich wird das im Bereich des Radverkehrs. Stehen attraktive Wege für diesen Verkehrsträger zur Verfügung entscheidet man sich öfters diese nachhaltige und umweltfreundliche Form der Fortbewegung zu nutzen. Für die Stadt Schwäbisch Hall und für viele andere Kommunen stellt der Ausbau der Radinfrastruktur eine wesentliche Herausforderung dar, da damit auch immer große Bauprojekte verbunden sind. Häufig wird der Ausbau der Radinfrastruktur mit einer Einschränkung des motorisiserten Individaulverkehrs (MIV) gleichgesetzt, sodass die politischen Entscheidungen öfters mehr Zeit benötigen um die Projekte angehen zu können. Neben den politischen Herausforderungen ist die Beantragung von nötigen Fördermitteln für diese Bauprojekte ein wesentliches Themenfeld. Der schnelle Ausbau des Verkehrsraums zur Förderung des Umweltverbundes kann nur gelingen wenn ausreichend Mittel vom Land und Bund bereitsgestellt werden. Die Beantragung dieser Mittel wird leider immer komplexer und benötigt einen großen zeitlichen Vorlauf. Zusammengenommen wäre eine schnellere Entscheidungsfindung und auch Fördermittelbereitstellung wichtig um die Mobilitätswende zu meistern.
Geben Sie uns einen Überblick über Ansätze und wie die Vorgehensweise bei der Erstellung eines Mobilitätskonzeptes ist.
Das Mobilitätskonzept ist eine große konzeptionelle Arbeit die im wesentlichen darauf abzielt gemeinsame Ziele unter allen Entscheidungsträgern, betroffenen
Akteuren (Busbetreiber, Ordnungsämter, Interessenverbänden,…) und der Bevölkerung zu setzten. In der Regel haben solche Konzepte einen Zeithorizont von >10 Jahren und ermöglicht Allen die sich mit dem Thema Mobilität befassen, eine zielgerichtes arbeiten.
Grundlage für ein Mobilitätskonzept ist eine fundierte Datenerhebung. Dazu gehört die Erhebung der Verkehrszahlen auf allen wichtigen Verkehrsachsen und eine qualitative wie repräsentative Befragung der Bevölkerung zum eigenen Mobilitätsverhalten. In unserem Fall wurde ein digitales Verkehrsmodell aus diesen Daten erstellt um den Status-Quo des Verkehrssystems abbilden zu können. Darüber hinaus konnte durch die Haushaltsbefragung der sog. Modal-Split unseres Planungsraumes ermittelt werden, also welche Wege mit den unterschiedlichen Verkehrsmitteln (Fuß, Rad, Bus, Zug, MIV) zurückgelegt werden. Anhand des Verkehrsmodells und dem Modal-Split können in Folge strategische Überlegungen angestellt und erreichbare Ziel definiert werden. In unterschiedlichen Runden mit der Bürgerschaft, Interessenvertretern und der Politik konnte dadurch ein Leitbild für eine nachhaltige und zukunftsgerichtete Entwicklung der Mobilität beschlossen werden, welches auch konkret auf die Verkehrsmittel bezogenen Planungsziele enthält.
Der abschließende Teil des Mobilitätskonzeptes ist ein integriertes Handlungskonzept, das konkrete Maßnahmen beinhaltet, deren Wirkung wiederum anhand des Verkehrsmodells evaluiert wurden. Aus dem Konzept können also konkrete Projekte abgeleitet werden, deren Wirkung auf das Verkehrssystem bereits vor der baulichen Umsetzung bekannt ist. Entscheidungen können damit sehr objektiv getroffen werden, was in der heutigen Zeit immer wichtiger wird, da die Weiterentwicklung der Mobilität von morgen immer komplexer wird.
Auf welcher Grundlage wird ein solches Konzept geplant?
Die Beteiligung ist ein wesentlicher Teil innerhalb der Konzeptarbeit und erfolgt auf unterschiedlichen Ebenen. Grundsätzlich ist die Bewusstseinsbildung in einem solchen Prozess sehr wichtig. Neben einer reinen Information über Presseartikel oder Posts in den Socialen Medien wird der direkte Austausch immer wichtiger. Daher ist zunächst im Prozess eine klassische Haushaltsbefragung fest verankert um einen umfangreichen und repräsentativen Blick auf die Mobilität im Planungsraum zu erhalten. Parallel werden aber auch niederschwelligere Befragungen angeboten, die ohne Anmeldung Online durchgeführt werden können. Zusammengenommen erhält man so ein umfangreiches Meinungsbild welches in Folge im Rahmen von Workshops gemeinsam reflektiert wird. Durch den Mix aus Befragung und direkte Beteiligung erhält man zum einen eine valide Ausgangslage für die Planung, aber auch Akzeptanz für die Maßnahmen die aus dem Konzept resultieren. Statistische Auswertungen sind ebenfalls ein wichtiger Teil des Konzeptes. Durch standardisierte Erhebungsverfahren, insb. im Bereich der Verkehrszählungen, können Vergleiche mit ähnlichen Planungsräumen angestellt und damit auch Potenziale abgeleitet werden.
Welcher Zeithorizont wird für die Planung eines solchen Konzeptes herangezogen? Inwieweit lassen sich Veränderungen der Bedarfe über einen Zeithorizont von 10, 20 oder 30 Jahren vorhersehen?
Durch das digitale Verkehrsmodell, welches auch städtebauliche Entwicklungen der nächsten 10 Jahre beinhaltet, lässt sich ein sehr verlässliches Bild der Zukunft zeichnen. Daher hat das Mobilitätskonzept auch einen Planungshorizont bis 2035. Prognosen oder Konzepte die einen längeren Planungshorizont haben eignen sich mehr für strategische Zielsetzungen und weniger zur Ableitung konkreter Maßnahmen wie in unserem Fall. Die Evaluierung innerhalb des Planungszeitraums ist wichtig um die Notwendigkeit einer Fortschreibung von Teilbereichen des Konzeptes zu erkennen. Es ist daher geplant die Haushaltsbefragung nach den ersten 5 Jahren erneut durchzuführen um bspw. Die Veränderung des Modal-Splits zu erheben und damit die Wirkung bereits umgesetzter Maßnahmen aufzeigen zu können. Mobilitätskonzepte entwickeln sich also ein Stück weit auch mit den sich verändernden Ansprüchen an Mobilität und sind darauf ausgelegt auf Entwicklungen die zum Zeitpunkt der Erstellung noch nicht absehbar waren zu reagieren.
Kommunales Mobilitätsmanagement wird für die Städte als Schlüssel zu mehr Lebensqualität gesehen. Können Sie uns den Zusammenhang genauer erläutern?
Diese Aussage kann ich nur bestätigen. Die Mobilität von heute kann auf kommunaler Ebene in wesentlichen Bereichen beeinflusst werden. In der Stadtplanung wird stets das Bild der ‚Stadt der kurzen Wege‘ bemüht. Das hört sich zunächst an, als wäre die Umsetzung relativ einfach, in der Praxis bedeutet dies aber eine große Herausforderung. Um beispielsweise den Fußverkehr zu stärken wäre eine kleinteilige dezentrale Versorgung mit Einrichtungen die den täglichen Bedarf abdecken nötig. Dies ist insbesondere in wenig dicht besiedelten Bereichen oft nur schwer bis gar nicht möglich da der Einzelhandel nicht wirtschaftlich betrieben werden kann. In der Vergangenheit hat man das Einzugsgebiet eines Einzelhandelsstandorts fast ausschließlich anhand der Erreichbarkeit mit dem MIV (motorisierter Individualverkehr) betrachtet. Heute zielen kommunale Planungen darauf ab, Einzelhandelsstandorte auszuweisen die sich in integrierten Lagen befinden, also umgeben von bestehenden Siedlungsbereichen sind. Dadurch sollen die Vorraussetzungen für eine gute Erreichbarkeit zu Fuß, per Rad oder dem ÖPNV geschaffen wird. Damit einher geht natürlich auch der Ausbau der öffentlichen Verkehrsräume. Sichere, attraktive aber insbesondere kurze Fuß und Radwege führen dazu den Anteil des MIVs zu senken und tragen dadurch zu einer höheren Lebensqualität in bestehenden Siedlungsbereichen bei. So lassen sich zahlreiche Beispiele aufzählen wie das Mobilitätsverhalten positiv durch kommunales Handeln beeinflusst werden kann.
Beinhaltet Ihr Konzept auch Innovative Ansätze?
Natürlich gibt es auch zukunftsgerichtete Ansätze wie die Mobilität innovativ verändert werden kann. In unserem Fall wurde in der Beteiligung oftmals über einen Seilbahnbetrieb, Rolltreppen im öffentlichen Raum oder ähnliches diskutiert um die Topographie im Bereich des Fußverkehrs besser zu überwinden. Autonomes Fahren, On-Demand Verkehre oder Sharingmodelle sind konkrete Maßnahmen die das Mobilitätskonzept in Teilen benennt aber nicht konkret vorschlägt. Innovative Ansätze müssen vielmehr innerhalb der Projekte gefunden werden die aus dem Konzept entstehen. Die Ziele sind gesetzt und beschlossen, was die beste Technologie ist wird immer zum Zeitpunkt der Umsetzung festgelegt werden müssen.
Gibt es bei der Erstellung und Umsetzung von kommunalem Mobilitätsmanagement auch einen bilateralen Austausch mit anderen Kommunen?
Ja. Unser Mobilitätskonzept wurde sogar mit den umliegenden Gemeinden erstellt da unser Verkehrssystem stark verwoben ist und sich gegenseitig bedingt. Dies wurde besonders deutlich mit den Verkehrszählungen. Unser Planungsraum hat einen Durchgangsverkehr von lediglich 20 Prozent, die anderen 80 Prozent sind also Fahrten innerhalb unserer Raumschaft und sind damit auch direkt über unser kommunales Handeln beeinflussbar. Dies verdeutlicht das Potenzial einer Kommune das Mobilitätsverhalten ihrer Bevölkerung positiv zu beeinflussen.
Wird bei der Erstellung und Umsetzung auch auf externe Unterstützung zurückgegriffen? Beratungen oder Lösungsanbieter?
Die Einbindung von externem Sachverstand ist unabdingbar. In der Regel wird die hauptsächliche konzeptionelle Arbeit gemeinsam mit Verkehrsplanern durchgeführt. Spätestens auf der Projektebene kommen unterschiedlichste Fachdisziplinen zusammen. Beispielsweise benötigt man für den Aufbau eines Sharing-Systems zunächst maßgeschneiderte IT Lösungen die eine Nutzung des Angebotes erst ermöglichen, dann wiederum benötigt man wieder Ingenieuere zur Planung und Umsetzung der eigentlichen baulichen Infrastruktur. Daher wird die Steuerungsarbeit auf kommunaler Ebene immer wichtiger. Hierfür gibt es Unterstützung vom Land die derzeit verstärkt Stellen im Bereich der ‚Nachhaltigen Mobilität‘ fördern.
Die Nachfrage nach nachhaltigen Mobilitätslösungen wächst stetig. Wie ist Ihre Wahrnehmung der umweltfreundlichen Optionen wie Elektrofahrzeuge und Fahrradflotten in die Mobilitätspläne der Bevölkerung? Haben sie hier konkrete Beispiele und Berührungspunkte?
Durch den menschengemachten Klimawandel hat sich der Blick der Gesellschaft auf das Thema Mobilität stark verändert. Wo früher noch das eigene Auto stark im Mittelpunkt stand wird heute eine möglichst unabhängige und flexible Nutzung von unterschiedlichen Angeboten angestrebt. Dies ist beispielsweise bei größeren Unternehmen ablesbar die den klassischen Geschäftswagen abschaffen und dafür Mobilitätskarten einführen. Mit dieser Karte lassen sich dann unterschiedlichste Mobilitätsangebote nutzen.
Die Digitalisierung spielt eine entscheidende Rolle in der Mobilität. Gibt es auch im kommunalen Mobilitätsmanagement digitalisierte Ansätze?
Ja, auch für das kommunale Handeln ist die Digitalisierung wichtig. Je nach Anwendungsfall kommen unterschiedliche Technologien zum Einsatz. Wo früher beispielsweise Verkehrzählungen noch per Hand und durch Ferienarbeit durchgeführt wurde, kommen heute Bluetooth-Zählstellen zum Einsatz. Ganz klar ist aber, dass in diesem Bereich noch sehr viel Potenzial besteht.
Das co² Reporting ist ein aktuelles Thema. Wie wird im Rahmen eines Mobilitätskonzeptes die co²-Emissionen als Kennzahl betrachtet, festgesetzt und kontrolliert?
Wir können durch das Verkehrsmodell konkret berechnen wie sich die CO² Emissionen bis 2035 verändern werden. Die Politik hat ein Szenario mit sehr ambitionierten Zielen entschieden welche eine Senkung des CO² Austoßes von über 30% erwarten lassen. Dies ist zwar weniger als man benötigen würde um die Klimaziele des Bundes oder der EU zu erreichen, jedoch ist dies ein realistischer Wert der sich auch durch kommunales Handeln beeinflussen lässt.
Die Erstellung Ihres Mobilitätskonzeptes erfolgte in einem Zeitraum, als die aufkommende COVID-19-Pandemie das öffentlichen Leben nochmals stark veränderte. Inwiefern mussten Ansätze, die vor COVID-19 ins Konzept eingeflossen waren dadurch nochmal angepasst werden?
Eine Anpassung war in unserem Fall nicht notwendig, da die Verkehrszählungen in einem Zeitraum erfolgt sind, welcher nicht mehr von starken Einschränkungen des öffentlichen Lebens geprägt war.
Wie sind bei einer Kommune die Entscheidungswege für die Verabschiedung eines solchen Konzeptes? Ausschließlich kommunal? Vorgaben vom Land?
Das Konzept orientiert sich an den geltenden gesetzlichen Vorgaben und Zielsetzungen des Bundes und dem Land. Es konkretisiert also die grundsätzlichen Vorgaben um die Umsetzung von Maßnahmen innerhalb der eigenen Raumschaft vorzubereiten. Durch das Konzept entsteht eine gemeinsame Willensbildung zu einem frühen Zeitpunkt und ermöglicht eine effiziente, zielgerichtete Vorbereitung. Natürlich wird die Wirtschaftlichkeit im Hinblick auf den zu erwartenden Effekt immer genau vor der Umsetzung geprüft und diskutiert.
Herr Mathieu, vielen Dank für das Gespräch.