“Wettbewerb spornt an und wir (Deutschen) brauchen diesen Wettbewerb und sollten ihn annehmen!” sagt Dr. Walter Döring ganz zu Anfang des Motortalks über die aufblühende Automobilindustrie in China, und leitet so das erste Thema des Motortalks ein.
Es folgen in einem lockeren Dialog die Themen der Lieferketten-Engpässe, die Batterie-Elektrofahrzeuge und weitere alternative Antriebe für Fahrzeuge sowie einen Ausblick in die Zukunft.
Hören Sie selbst den informativen Vortrag von Dr. Walter Döring und Matthias Müller:
Keynote: Bleibt Deutschland Autoland? Matthias Müller und Dr. Walter Döring
Bleibt Deutschland Autoland?
Dr. Walter Döring spricht mit Ex-VW und Porsche-Konzernchef Matthias Müller beim 10. Flottentag über die Zukunft der Automobilindustrie, neue Möglichkeiten und neue Wettbewerber in der Branche.
Lieber Herr Müller, wie kommt es, dass Sie, Ex-Porsche und VW-Konzernchef, größter Automobilhersteller zu Ihrer Zeit, nach Schwäbisch Hall zum Flottentag von SIGNal kommen?
Vor circa einem Jahr als ich auf die Idee kam einen 911 der Generation 996 folieren zu lassen. Da landet man ganz schnell bei der Suche beim kleinen aber feinen Unternehmen SIGNal Design. So haben Markus Schaeffler und ich uns kennen und schätzen gelernt.
Wer heute die Zeitung aufgeschlagen hat, hat direkt in der Titelstory gelesen „Die Chinesen kommen!“. Andere schreiben: „Jetzt wirds aber kritisch für Deutschland!“ Wie sehen Sie die Entwicklung zwischen Deutschen und Chinesischen Autobauern? Wie stehen sich die zwei Länder in der Hinsicht gegenüber?
Die Deutsche Autoindustrie wurde in den letzten 100 Jahren schon 10 mal für tot erklärt und 10 Mal hat sie sich wieder behauptet. Ich bin da ganz zuversichtlich, dass wir den chinesischen und auch anderen Wettbewerb weltweit nicht fürchten dürfen. Es sind ja nicht nur die Chinesen, es ist auch z. B. eine Firma Stellantis, die genauso gut weiß, wie das Geschäft funktioniert.
Hier auf dem Flottentag stehen Marken, die waren 2020 noch pleite und wagen jetzt einen erneuten Versuch auf dem Europäischen Automarkt Fuß zu fassen. Sie haben nicht nur gelernt, wie man Autos baut, sondern vor allem wie man diese vermarktet. Die Aufgabenstellung für die deutschen Automobilhersteller ist jetzt ganz klar, sich der Herausforderung zu stellen und Angebote zu machen, die den Kunden überzeugen, doch wieder deutsche Autos zu kaufen.
Ich staune über die Deutsche Politik, die jetzt Schranken und Hürden gegenüber China aufbaut, wo doch Porsche und andere deutsche Automobilhersteller circa 35 % – 40 % ihrer Herstellungen nach China exportieren. Wenn das mal wegfällt, dann können wir lange schauen, wo wir in Deutschland noch ein Automobilzentrum haben. Deswegen bin ich der Meinung, wir sollten den Wettbewerb annehmen, selbstbewusst auftreten, daran glauben, dass die deutsche Ingenieurskunst auch gegen die Chinesen gewinnt.
Der Volkswagenkonzern hat schon in den Achtzigerjahren im chinesischen Markt Fuß gefasst. Volkswagen hatte drei Kooperationen mit chinesischen Städten, seit dieser Zeit arbeiten wir sehr gut zusammen. Da gibt es langfristige Kooperationsverträge über 25 Jahre – da müssen wir dann schauen, wie es nach Ablauf dieser Zeit aussieht, ob die Chinesen noch Lust haben, mit uns zu kooperieren oder ob wir dann auf uns alleine gestellt sind.
Vor 40 Jahren sind wir also nach China gegangen – jetzt kommen Sie zu uns.
Genau, so läuft es. Das ist die globale Weltwirtschaft. Deutschland hat über viele Jahrzehnte davon profitiert und jetzt können wir uns nicht abschotten – was übrigens politisch gesehen auch der größte Fehler wäre, den wir machen könnten. Wir müssen schauen, dass wir unsere Exportbilanz aufrecht er halten. Dann ist Kreativität und die deutsche Ingenieurskunst gefragt. Dabei ist es auch etwas verwerflich, wenn die Politik die Technik vorschreibt oder in den technischen Entwicklungsprozess eingreift. Wir sollten unseren Ingenieuren vertrauen, dass sie gute Lösungen finden.
Ich kann es nicht ganz verstehen, warum die Politik Benziner und Diesel verbietet und dann nicht die Gelegenheit bietet, weiterzuentwickeln. Ich bin kein Gegner von Elektromobilität, fahre selbst einen E-UP im Stadtverkehr, aber ich glaube, man sollte dem Kunden überlassen, für was er sich am Ende entscheidet. Wenn die politischen Rahmenbedingungen stabil sind, dann werden die Entwickler der Automobilindustrie auch entsprechende Lösungen finden.
Eine tolle Botschaft, die ich auch voll unterstreiche, weil ich denke, dass sich Politiker wirklich nicht anmaßen sollten, Ingenieuren und Technikern vorzuschreiben, was die beste Lösung ist. Deswegen glaube ich auch wie Sie an die deutsche Ingenieurskunst, die eine Lösung finden wird. Sie haben gesagt, dass nun Kreativität gefragt ist. Hier beim Flottentag haben wir viele Neuheiten – zum Beispiel den ORA Funky Cat.
Das ist zunächst mal ein sehr schönes Auto! Aber beim Design ist das immer so eine Sache: oftmals gefallen die Autos beim ersten Hinschauen, aber wenn man sie dann mal ein Jahr im Straßenverkehr sieht, fällt einem auf, dass Details und Stilelemente fehlen, die eine Marke ausmachen. Die Geschichte eines neuen Autos muss sich eben erst noch entwickeln.
„Ich glaube, man sollte dem Kunden überlassen, ob er sich am Ende für ein Elektroauto oder einen Verbrenner entscheidet.“
Auch einen Nio ET7 haben wir hier zur Europapremiere. Was sagen Sie dazu?
Nio ist ein Unternehmen, das tatsächlich kurz vor der Pleite stand, dann aber durch eine chinesische staatliche Investition gerettet wurde. Nio besticht durch die Raumanmutung – es ist ein unglaubliches Raumgefühl. Der Nio hat ganz viel Technik und Funktionales zu bieten. Wenn er jetzt auch noch um die Kurven fährt, dann gibt es keinen Grund, sich ein solches Auto nicht zu kaufen. Die Deutschen sind ja bekannterweise sehr markenaffin, was den alteingesessenen Deutschen Marken natürlich zuvorkommt. Die chinesischen Marken müssen sich da jetzt erst einmal etablieren. Das Produkt ist das allerwichtigste und wenn das funktioniert, warum nicht?
Es gibt ja noch einen anderen namhaften Wettbewerber – Tesla – der vor 10-15 Jahren aufgetaucht ist. Von Anfang an hatten wir großen Respekt vor Tesla und haben gesehen, welcher technische Sachverstand in diesen Fahrzeugen steckt. Und das nicht nur in den traditionellen Themen wie Bremsen, Fahrwerk, Motorisierung etc. sondern insbesondere die Dinge, die die Mobilität in der Zukunft auszeichnen wird. Wenn auch die Deutschen Automobilhersteller sich die Abkürzung CASE zu Herzen nehmen – Connectivity, autonomes Fahren, Car-Sharing und Elektrifizierung – und diese Dinge weiterentwickelt werden, dann werden wir auch weiterhin auf dem Weltmarkt erfolgreich und führend sein.
„Die Dinge müssen jetzt rasant weiterentwickelt, die Infrastruktur muss ausgebaut werden und die Behörden müssen Rahmenbedingungen für E-Autos schaffen“
Um wieder zurück zu den Deutschen Fahrzeugen zu kommen: War das Ergebnis des Börsengangs von Porsche so zu erwarten?
Ja, es war die Rede von 85 Milliarden und das wurde ja auch erreicht oder sogar kurz übertroffen. Als ich Porsche 2010 in einem desolaten Zustand übernommen habe, war Porsche so gut wie Pleite und wurde dann ja auch letztendlich von Volkswagen aufgekauft und durchaus auch gerettet. Das war für die Marke Porsche, für die Mitarbeiter und die damaligen Eigentürmer ein dramatisches Erlebnis. Mit dem Börsengang jetzt wurde Geld für den Volkswagenkonzern generiert, das er gut gebrauchen kann, aber eben auch wieder den ursächlichen Zustand von Porsche hergestellt: Porsche ist wieder einatarkes Unternehmen, das den Volkswagenkonzern an seiner Seite hat.
Fast alle der hier ausgestellten Fahrzeuge sind Elektroautos. Bei den vielen E-Autos stellt sich mir die Frage, warum noch nicht jeder eines hat?
Da gibt es die Nicht-Kauf-Gründe. Der erste Grund war, dass die Autos zu teuer waren. Mittlerweile kosten aber die E-Autos ungefähr so viel wie Benziner.
Der zweite Grund war die Ladeinfrastruktur. Diese ist leider nach wie vor dürftig. Da können wir nur hoffen, dass nicht nur Behörden und Energielieferanten sondern auch Firmen wie Shell, BP etc. mit einsteigen. Der letzte Grund war die Reichweite. Mein VW E-UP aus der ersten Generation fährt 120 Kilometer, was für die Stadt in Ordnung ist. Mittlerweile fahren die Elektroautos 400 bis 500 Kilometer, was sich meiner Meinung nach in Zukunft noch steigern wird. Wenn jetzt der ganze Ladeprozess noch eleganter wird, man nicht mehr verschiedenste Ladekarten benötigt und der Ladevorgang zügiger funktioniert, steht den E-Autos nichts mehr im Wege.
Ich bin der Meinung, die Dinge müssen jetzt rasant weiterentwickelt, die Infrastruktur muss ausgebaut werden und die Behörden müssen Rahmenbedingungen schaffen, die für uns alle erträglich sind, sodass man letztendlich bei der Betankung eines E-Autos keinerlei Nachteile gegenüber eines Verbrenners mehr hat.
Sie haben angesprochen, dass Sie es falsch finden, dass man so arg auf Elektro setzt. Wie sehen Sie die Alternativen zu Elektroautos?
Ich glaube nicht, dass ein Automobilkonzern den Rest des Weltmarktes, der größtenteils noch verbrennerlastig ist, einfach aufgibt, nur weil wir in Deutschland eher in Richtung Elektromotoren agieren. Auch die Weiterentwicklung der batteriebetriebenen Elektromobilität würde meines Erachtens Sinn machen. Die Lithium-Ionen Batterien haben ja in den letzten Jahren einen unglaublichen technischen Fortschritt erlebt. In den USA sollen auch Feststoff-Batterien entwickelt werden, was im Prinzip funktioniert, nur der komplexe Prozess der Industrialisierung bedarf noch etwas Zeit. Porsche ist ja unterwegs mit synthetischen Kraftstoffen vor allem im Motorsport- und Oldtimer-Bereich. Aber wenn es da funktioniert, warum soll es dann nicht auch am Fahrzeugbestand funktionieren? Wir haben in Deutschland, soweit ich weiß, circa 40 Millionen Fahrzeuge auf den Straßen. Würde man die mit synthetischem Kraftstoff versorgen, dann könnten diese Autos schon morgen einen Beitrag zum Umweltschutz leisten. Wir sollten aber, wenn wir über Mobilität reden, nicht nur über Pkws reden. Es gibt ja auch noch den Güter- und Lieferverkehr. An all diese Dinge müssen wir bei Innovationen denken. Wir brauchen Mobilitätskonzepte, die multimodal sind und die uns das Leben erleichtern. Die Verkettung von Autos – Platooning – wäre heute schon möglich, auch bei Lkws. Die Lkws müssen aktuell nach vier Stunden anhalten, um eine Pause einzulegen. Beim Platooning könnte der Fahrer im ersten LKW fahren, während die anderen Fahrer in den Fahrzeugen dahinter schlafen.
Sie haben grade im Nebensatz Amerika erwähnt. Welche Rolle spielt der US-Markt für uns und welche Rolle spielen die Automobilhersteller und Produzenten für uns?
Die Kunden in Amerika ticken anders als wir, wenn sie im Auto sitzen. Das berühmteste Beispiel ist der 1 Liter Cola-Becher, für den wir jahrzehntelang keine Lösung in unseren Autos hatten. Auch die Geschwindigkeitsbegrenzung ist fest verankert, was bedeutet, dass die Fahrzeuge ganz anders gebaut, die Bremsen anders ausgelegt und die Getriebeübersetzungen nicht so sportlich sind. Deswegen ist auch die Automobilindustrie in gewisser weise regional zu betrachten.
Wie betrachtet die deutsche Automobilindustrie Tesla in Berlin?
Auf jeden Fall zuerst einmal mit viel Respekt! Ich glaube es ist noch nie gelungen in Deutschland in so kurzer Zeit eine so große Fabrik zu bauen. Wenn die Politik will, kann sie das sogar gegen Widerstände unterstützen und nicht bremsen. Von daher ist das Projekt als solches erst einmal zu bewundern. Von der Grundsteinlegung bis zur Auslieferung vom ersten Fahrzeug sind gerade mal ein oder anderthalb Jahre vergangen, was normalerweise in Deutschland unvorstellbar ist. Das zeigt aber, dass vieles möglich wäre, wenn man es will!
„Wir brauchen zukünftig ein Mobilitätsangebot, das über den PKW hinaus geht.“
Wenn Sie sich den aktuellen Automarkt mal anschauen, welches wären Ihre persönlichen Lieblingsautos?
Im Moment bin ich mit dem VW Bus da – mit meinem California Beach, einfach weil das Auto zu meinem aktuellen Leben relativ gut passt. Ich habe großen Stauraum, ein Fahrradständer hinten drauf und da ich viel auf Deutschlands Straßen unterwegs bin, kann ich so auch mal anhalten, Brotzeit machen und mir ein Bier aufmachen und vielleicht danach auch nicht mehr weiter fahren. Falls das jetzt unerwartet kam: ich habe auch einen 911er zuhause stehen, den ich auch ab und zu fahre.
Wenn wir die jungen Leute anschauen, dann spielt das Auto mittlerweile nicht mehr eine so große Rolle. Wie kriegen wir die jungen wieder für das Automobil begeistert?
Ich glaube, wenn ein junger Mensch in einer urbanen Umgebung lebt, wird er eher auf ein Auto verzichten können, als jemand, der eine Familie gegründet hat und den Kinderwagen von A nach B bringen muss. Andererseits sind auch diejenigen, die auf dem Land leben, mehr auf ein Auto angewiesen, da dort der ÖPNV nicht ganz so gut funktioniert, wie er funktionieren sollte.
Wir sind wieder beim gleichen Thema: wie sind die Lebensumstände? Deswegen wäre ein Mobilitätsangebot gut, das weit über den PKW hinaus gehen. Die Autoindustrie und der PKW ist ein Verkehrsträger, der eine ganz wichtige Rolle spielt, aber neben diesem Angebot sollte es weitere Möglichkeiten geben. Bevor ich meinen Hund bekommen habe, bin ich sehr viel mit dem Zug gefahren. Aber fahren Sie mal mit dem Hund Zug. Es gibt nur Ärger. Also, was macht man dann? Man geht zurück zum PKW.
Wenn wir ein paar Jahre in die Zukunft schauen: was wird sich bei der Automobilindustrie in der Entwicklung tun?
Assistiertes oder Autonomes fahren ging los mit Level 1 – mittlerweile sind wir bei Level 2 oder 3. Das wird sich auf jeden Fall weiterentwickeln bis hin zu Level 5. Ich selbst war einer der Protagonisten, die gesagt haben, 2022 fahren wir autonom. Wir sind noch relativ weit davon weg, aber trotzdem darf man die erheblichen Weiterentwicklungen in dem Gebiet nicht außer Acht lassen. Wir haben eine Fülle von Helferlein im Auto, die man aktivieren kann – oder auch nicht. Auch an der Stelle kann jeder für sich entscheiden, was er gerne hätte oder eben nicht.
Jetzt sind wir ja auf dem Flottentag. Haben Sie für die Flottenmanager:innen Hinweise oder Ratschläge für die nächsten Jahre?
Wenn wir an den Ausgangspunkt des Gespräches zurückkommen, ist es wichtig für sie zu wissen, dass die Deutsche Automobilindustrie nicht kapitulieren und auch Lösungen bereitstellen wird, die hoffentlich jedem einzelnen Geschäft Vorteile einbringen kann. Ich rate den Automobilherstellern mit den Flotten ordentlich zusammenzuarbeiten und dass die Vertriebsabteilungen der Hersteller mit den Fuhrparkmanager:innen gut kommunizieren.
Ein letztes großes Thema ist sicherlich das Kostenthema. Wie wird es mit den Kosten weitergehen?
Es sind große Höhen bei den Kosten erreicht, aber dazu muss man natürlich auch sagen, dass alles in den letzten 50 oder 60 Jahren teurer geworden ist. Autos sind aufwendiger und sicherer geworden. Die Automobilindustrie hat sehr viel Geld in die aktive und passive Sicherheit der Fahrzeuge gesteckt, was man nicht unterschätzen darf. Gleichzeitig wurden Kosten und Aufwände reduziert. Aber auch die Budgets der Autohersteller und OEMs sind nicht unendlich.