Digitalisierung auf der Schiene: Allianz pro Schiene warnt vor Stillstand beim ETCS-Ausbau
Die Digitalisierung des deutschen Schienennetzes steckt fest. Laut aktuellen Branchenangaben sind Ende 2024 gerade einmal 1,6 Prozent des Bundesschienennetzes mit dem European Train Control System (ETCS) ausgerüstet – einem entscheidenden Baustein für den reibungslosen grenzüberschreitenden Bahnverkehr in Europa.
Der Verband Allianz pro Schiene kritisiert nicht nur das schleppende Tempo, sondern vor allem die fehlende Gesamtstrategie. Ohne klare Ziele und abgestimmte Maßnahmen werde das angestrebte Ziel, bis 2040 das gesamte Streckennetz umzurüsten, kaum erreichbar sein.
ETCS als Schlüssel für einen einheitlichen Bahnverkehr in Europa
ETCS ersetzt die bisherige Signaltechnik entlang der Schienenwege und überträgt alle sicherheitsrelevanten Informationen direkt in den Führerstand. Dadurch entfällt die klassische Streckensignalisation, und Züge können europaweit einheitlich gesteuert werden. Das System verspricht nicht nur mehr Sicherheit, sondern auch eine höhere Effizienz im Betriebsablauf.
Für die Umsetzung in Deutschland bedeutet das jedoch doppelte Arbeit: Neben der Streckentechnik müssen auch die Fahrzeuge umgerüstet werden. Lokführerinnen und Lokführer erhalten künftig die Fahr- und Sicherheitshinweise digital, was langfristig den grenzüberschreitenden Verkehr erheblich vereinfachen könnte.
Fehlende Abstimmung bremst den Fortschritt
Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, sieht das Hauptproblem in der mangelnden Koordination zwischen Bund, Ländern, Bahnunternehmen und Fahrzeugherstellern. Zwar sei der politische Wille vorhanden, doch entscheidende Fragen seien ungeklärt:
Welche Strecken werden in welcher Reihenfolge umgerüstet?
Wie wird die Finanzierung für die Fahrzeugausstattung sichergestellt?
Wie lassen sich Kostenfallen bei gleichzeitiger Sanierung und Modernisierung vermeiden?
Ein aktuelles Beispiel für die fehlende Linie ist der Unterschied zwischen der Riedbahn, die im Zuge einer Generalsanierung direkt auf ETCS umgestellt wurde, und der Strecke Berlin–Hamburg, die derzeit ohne diese Technik modernisiert wird – aus Kostengründen.
Wirtschaftliche und operative Vorteile nur bei konsequenter Umsetzung
Die Umstellung auf ETCS gilt als Investition mit klaren Effizienzgewinnen. Weniger Signaltechnik an der Strecke bedeutet niedrigere Wartungskosten, während digitale Steuerung die Kapazität und Pünktlichkeit verbessern kann. Doch um diese Vorteile greifbar zu machen, ist eine verlässliche Umsetzung nötig.
Flege betont, dass die Branche spätestens in der nächsten Legislaturperiode konkrete Erfolge sehen müsse. Ohne sichtbare Fortschritte könnten Bahnunternehmen zögern, die teure Fahrzeugumrüstung anzugehen. Die Gefahr: Das politische Ziel für 2040 wird verfehlt, und Deutschland bleibt ein Flickenteppich aus alter und neuer Technik.
Deutschland braucht einen verbindlichen ETCS-Masterplan
Der Schlüssel liegt in einer verbindlichen, von allen Beteiligten getragenen Roadmap. Diese sollte klare Prioritäten setzen, Finanzierungszusagen enthalten und Synergien bei Sanierungen nutzen. Nur so lässt sich vermeiden, dass Strecken doppelt umgerüstet oder Chancen für kosteneffiziente Modernisierungen vertan werden.
Die Digitalisierung der Schiene ist kein Selbstzweck, sondern ein notwendiger Schritt, um die Wettbewerbsfähigkeit der Bahn im internationalen Vergleich zu sichern. ETCS ist dabei mehr als nur ein technisches Update – es ist die Basis für einen modernen, zuverlässigen und europaweit integrierten Bahnverkehr.