Dekarbonisierung lautet das große Ziel im Automobilsektor. Elektromobilität scheint hierfür der entscheidende Hebel zu sein. Doch alternative Ansätze machen strombetriebenen Fahrzeugen inzwischen Konkurrenz: Synthetische Kraftstoffe tragen ebenfalls zur CO2-Reduzierung bei – und eröffnen neue Zukunftschancen für Verbrennermotoren. Was bedeutet diese Entwicklung für Fuhrparks? Die Frage klärt Georg Thoma, Director Fleet und B2B Partnerships bei ATU Flottenlösungen, im Interview.
Die Elektrifizierung von Fuhrparks geht nicht so schnell vonstatten, wie ursprünglich gedacht. Woran liegt das?
Das stimmt, in den vergangenen Jahren hat die Elektromobilität zwar mehr und mehr Einzug in Fuhrparks gehalten, aber der Großteil des Bestandes ist nach wie vor von Benzinern und Dieselmodellen dominiert. Das verhaltene Interesse am Fahren mit Strom im Business-Kontext ist vor allem auf die typischen
Schwachstellen zurückzuführen, mit denen E-Autos immer noch zu kämpfen haben: vergleichsweise hohe Anschaffungskosten, eine oftmals immer noch geringe Reichweite und zu lange Ladezeiten. Derzeit liegt der durchschnittliche Preis für ein neues Elektroauto rund 15.000 Euro höher als bei einem neuen Pkw
mit Verbrennungsmotor. Außerdem müssen Batteriekapazität und Ladeinfrastruktur dringend ausgebaut werden, um beispielsweise den Anforderungen im Außendienst zu entsprechen. Vertriebsmitarbeiter legen am Tag oft weite Strecken zurück, die sie nur mit kurzen Stopps unterbrechen möchten. Lange Ladezeiten sind einfach unwirtschaftlich. Aktuell wächst zwar die Zahl der High-Performance-Charger mit mehr als 150 Kilowatt Leistung relativ zügig, absolut gesehen sind Schnellladesäulen in Deutschland aber noch in der Minderheit. Auf den Punkt gebracht: Hohe Investitionen beim Einkauf und Einschränkungen im Arbeitsalltag durch unzureichende Lademöglichkeiten sind nun mal entscheidende Faktoren, die so manchen Fuhrparkmanager von einer Elektroflotte abhalten.
Sehen Sie auch die von der Bundesregierung gestrichene Kaufprämie für die Neuanschaffung von Elektrofahrzeugen, den sogenannten Umweltbonus, als Einflussfaktor?
Ja, sicher. Beim Vorantreiben der betrieblichen Elektromobilität ist auch die Politik gefragt – und das Aus der staatlichen Förderung im vergangenen Jahr war sicherlich ein Signal in die falsche Richtung. Unternehmen mussten dadurch bei der Beschaffung von Dienstwagen neu kalkulieren. Kein Wunder, dass daraufhin die Nachfrage nach batterieelektrischen Fahrzeugen spürbar eingebrochen ist.
Nun plant die Bundesregierung eine weitere staatliche Unterstützung, um den Absatz von Elektroautos wieder anzukurbeln. Konkret geht es um steuerliche Anreize für neu zugelassene vollelektrische und vergleichbare Nullemissionsfahrzeuge, die als Dienstwagen genutzt werden. Diese Sonderabschreibung für Unternehmen soll rückwirkend zum 1. Juli 2024 gelten. Eine effektive Maßnahme, deren Potenzial aber nur zusammen mit den übrigen genannten Faktoren, beispielsweise dem Ausbau der Ladeinfrastruktur, optimal ausgeschöpft werden kann.
Elektromobilität klingt nach vielen Ungewissheiten für Fuhrparkmanager, die ja eigentlich Investitionssicherheit brauchen. Also doch weiterhin auf Benzin und Diesel setzen?
Einfach so fortzufahren wie bisher, ist keine Lösung. Die Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor befinden sich nach wie vor auf hohem Niveau. Angesichts dieser Tatsache stellt sich nicht die Frage, ob Flotten nachhaltiger werden müssen, sondern vielmehr, wie dies in der Praxis gelingen kann. Elektromobilität ist dabei jedoch nur eine von mehreren Optionen. Auch alternative Antriebsarten wie Wasserstoff oder Erdgas kommen ins Spiel, wenn es um umweltfreundliche Mobilitätskonzepte im Fuhrpark geht. Zu einem wahren Gamechanger könnten sich allerdings synthetische Kraftstoffe entwickeln.
Warum sehen Sie darin ein so großes Potenzial?
Synthetische Kraftstoffe werden aus unterschiedlichen Rohstoffen in nachhaltigen Verfahren hergestellt und sind nahezu klimaneutral. Das Besondere an dieser Technologie: Die Kraftstoffe eignen sich in der Regel für das Betanken herkömmlicher Autos mit Verbrennermotor. Dadurch stellen sie übrigens auch ein interessantes Schlupfloch beim vieldiskutierten „Verbrennerverbot“ dar, das ab 2035 Neufahrzeuge mit fossilem Antrieb von den Straßen verbannen soll. Ab dann dürfen in der EU nämlich nur noch Pkw neu zugelassen werden, die CO₂-frei fahren. Diese Klimaneutralität könnte eventuell auch mit synthetischen Kraftstoffen erreicht werden – je nachdem, wie die EU-Kommission bis Ende des
Jahres über diesen Ausnahmefall entscheidet. Dann hätten Neuwagen mit Verbrennermotor in zehn Jahren doch noch eine Chance.
Inwiefern können Fuhrparks von synthetischen Kraftstoffen profitieren?
Die Eigenschaften von synthetischen Kraftstoffen eröffnen ganz neue Möglichkeiten für den Flottenbetrieb. Fuhrparkmanager müssen nicht zwangsläufig beispielsweise in neue Elektroautos investieren, um ihren Dienstwagenpool nachhaltiger aufzustellen. Sie können vorhandene Dieselfahrzeuge – ohne technische Umrüstung – weiterhin nutzen und den ökologischen Fußabdruck ihrer Flotte dennoch sofort verbessern. Gerade angesichts des aktuell noch großen Bestandes an Dieselmodellen in Unternehmen steckt in den Kraftstoffalternativen ein gewaltiges Potenzial zur Dekarbonisierung der betrieblichen Mobilität.
Das hört sich vielversprechend an. Werden Flottenfahrer ihre Dienstwagen künftig also eher tanken als laden?
Das kommt auf die Umstände an, denn auch hier gilt: Die Rahmenbedingungen müssen sich entsprechend mitentwickeln, damit sich die Nutzung synthetischer Kraftstoffe in der Fuhrparkpraxis etablieren kann. Damit meine ich in erster Linie die gesetzlichen Vorschriften und die Verfügbarkeit. Im Moment hinkt die Gesetzeslage in Deutschland anderen Nachbarländern hinterher. In Skandinavien,
Italien und den Niederlanden ist der HVO-Diesel – die umweltfreundliche, synthetische Alternative zum fossilen Diesel – bereits weit verbreitet. Bei uns in Deutschland dürfen öffentliche Tankstellen diesen paraffinischen Diesel allerdings erst seit Ende Mai 2024 in Reinform verkaufen. Dementsprechend steckt der Ausbau des deutschen HVO-Tankstellennetzes noch in den Kinderschuhen. Ob Flottenfahrer ihre Dienstwagen künftig eher tanken oder laden, bleibt also abzuwarten. In jedem Fall sind wir bei ATU Flottenlösungen für beides gerüstet.
Wie meinen Sie das?
Unsere Werkstätten in den rund 530 ATU Filialen sind technisch und personell auf sämtliche Arbeiten an Verbrennern und E-Autos ausgerichtet – und das über alle Modelle und Marken hinweg. Für unsere Kompetenz im Bereich Elektromobilität wurden wir sogar als „Top Partner E-Mobilität“ von der Fachzeitschrift electricar ausgezeichnet. Übrigens trägt ATU auch aktiv dazu bei, die Ladeinfrastruktur in
Deutschland auszubauen. Wir erweitern kontinuierlich das bundesweite Angebot an Schnellladestationen. So sind aktuell bereits 98 ATU Standorte mit insgesamt 113 Ladesäulen ausgestattet. Wo sich die nächste Lademöglichkeit befindet, können Fuhrparkmanager und Fahrer ganz einfach im ATU Ladesäulenfinder auf unserer Website erfahren.
Herr Thoma, vielen Dank für das Gespräch.
Hintergrundwissen:
Synthetische Kraftstoffe
Synthetische Kraftstoffe werden auch als XtL-Kraftstoffe bezeichnet. Der Begriff XtL bedeutet X-to-Liquid, wobei das X als Variable für verschiedene Rohstoffe steht, die bei der Produktion verwendet werden. Dazu zählen Biomasse, Erdgas, Industrieabgase oder Strom.
Eine Kategorie der XtL-Kraftstoffe stellt der paraffinische HVO-Diesel (Hydrotreated Vegetable Oils) dar, der aus hydrierten Pflanzenölen gewonnen wird. Bei diesen Ölen handelt es sich meist um Abfallprodukte der Lebensmittelindustrie, beispielsweise verwendete Speiseöle oder Fette. Der HVO-Diesel kann in herkömmlichen Dieselmotoren eingesetzt werden und reduziert die Treibhausgasemissionen im Vergleich zu fossilem Diesel erheblich. E-Fuels (elektrische Kraftstoffe) sind eine weitere Kategorie der XtL-Kraftstoffe. Sie sind nahezu klimaneutral und werden mithilfe von erneuerbarer Energie aus CO2 und Wasserstoff hergestellt.
HVO und E-Fuels spielen eine wichtige Rolle bei der Reduzierung der CO₂-Emissionen im Verkehrssektor und bieten eine nachhaltige Alternative zu fossilen Brennstoffen, insbesondere für bestehende Fahrzeugflotten.